Was ist denn heut bei Anhalts los? 

IV. Episode: Himmelfahrt oder: Shame of Thrones (Auszug)

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Haller: Wir müssen reden Fürstin! 

Zsa Zsa: Mademoiselle, haben Sie nicht gehört, was der Prinz Ihnen befohlen hat? Ich möchte mich ausruhen. Bringen Sie mich in meinen Wohnwagen. Sofort. 

H: OH, Ich fürchte, dafür fehlt uns die Zeit. 

Z: Was fällt Ihnen ein? Sind sie irre Weib? Ich verlange, dass Sie mich sofort- 

H: Halten Sie den Mund Fürstin! Jetzt spreche ich! Ich möchte, dass Sie sich erinnern. Ich möchte, dass Sie sich an den Winter 1984 erinnern. 

Z: Was? Ich- Ich weiß nicht-

H: Sie waren Skifahren damals, wissen Sie nicht mehr? 

Z: Ich? 

H: Sie und Ihr gesamter Freundeskreis aus Filmschauspielern und Prominenten haben Ihren Winterurlaub in der Schweiz verbracht. Sie hatten viel Spaß damals, tagsüber die langen schneebedeckten Skipisten, die Abende dann vor dem Kamin in Ihrer Skilodge, Sherry trinkend, eine Parisienne nach der anderen rauchend. Jeder Tag wie der vorherige. Ein einziger wochenlanger Müßiggang. Bis Ihnen langweilig wurde. Erinnern Sie sich, was Sie Ihren Freunden damals vorschlugen? 

Z: (sich langsam erinnernd) Wir- wir wollten hinaus, etwas von der ruralen Schweiz sehen. Ausflüge unternehmen in die nähere Umgebung.

H: Richtig Fürstin. Sie begannen, Ausflüge ins Hinterland zu organisieren, hinauf in die Berge. Sie flohen die Zivilisation, weil Sie die urtümliche, die rückständische Schweiz am eigenen Leib erfahren wollten. 

Z: Ich erinnere mich! Es waren wundervolle Wochen damals. 

H: (unbeirrt) Der 17. November 1984. Wissen Sie noch, was an diesem Tag geschah? 

Z: Mademoiselle, was ist ein einzelner Tag aus dem reichen Leben einer Prominenten? Ich wüsste beim besten Willen nicht-

H: Hütli. 

Z: Was? - (sie erinnert sich plötzlich.) Ach richtig! Dieses romantische abgeschiedene Dorf in den Bergen. Ohne Strom. Als hätte man die Zeit angehalten. 

H: Mein Heimatdorf. Am 17. November 1984 fielen Sie zusammen mit Ihren Jetsetfreunden in meinem Heimatdorf ein. Gegen Mittag. Heuschrecken. Sie blieben zwei Wochen. Sechzehn Tage um genau zu sein. Die Pensionen waren ausgebucht. Alle beide. Sie tranken unseren Wein, lobten unser Essen, kauften unseren Käse und die Schnitzereien unserer Alten, fuhren Ski, gingen Bergwandern, unter unserer Anleitung. Sie wurden nicht müde, uns Einwohnern Ihrer unsterblichen Liebe zu versichern, blumig. All die Adjektive. Und wir, naiv, geblendet, gutgläubig, wir glaubten Ihnen. Warum auch sollten Sie uns anlügen? Sie versprachen, wiederzukommen. Im nächsten Jahr schon. Und unsere Stadtkassen und Geldbörsen waren voll. Sie hatten gut bezahlt! Geprasst! Sooo spendabel. Wir hatten gut verdient an Ihnen und Ihren Freunden Zsa Zsa, euch oberen Zehntausend. 

Z: Aber das haben doch gern getan Mademoiselle. Aus vollen Amphoren. (ihre Hände deuten die Entleerung eines Füllhorn an.) 

H: Wir begannen zu planen. Zu sanieren. Trunken von Ihren Versprechungen. Sie wollten wiederkehren. Also begannen wir, unseren Ort herauszuputzen. Beim nächsten Mal wollen wir auf den Ansturm der Schönen und Reichen vorbereitet sein. Wir bauten Skilifte. Spas. Hotels. Meine Eltern eröffneten ein Feinschmeckerrestaurant. Wir asphaltierten unsere Zufahrtsstraßen, gründeten eine Buslinie, verlegten Telefonkabel und elektrische Leitungen. Unser Hütli war wunderschön, als die nächste Saison begann. (Pause.)

Z: - 

H: Aber Sie blieben aus. Sie kamen nicht wieder. Niemand kam. 

Z: Aber- Ich wusste nicht- Herrje, man sagt so viel dahin. 

H: Sie hatten es versprochen Fürstin. Sie vor allen anderen. 

Z: Na und?  

H: Und dann begann der Niedergang. Wir erwachten aus dem Traum, in den Sie uns versetzt hatten. Wohlstand für alle. Eine Alterssicherung. Schulen für die Kinder. Und Schuhe. Wie sie die Deutschen oder Österreicher trugen. Der Traum war von kurzer Dauer gewesen. Die Menschen hatten sich verschuldet, all das Geld ausgegeben, mit dem Sie im Jahr zuvor so freigiebig um sich geworfen hatten, und Kredite aufgenommen, die sie als simple Käser und Almbauern niemals würden zurückzahlen können. Sie haben durch ihr Fortbleiben das Schicksal von zweihundert Seelen entschieden. 
Meine Familie- (sieh hält kurz inne.) Wir waren glücklich Fürstin. Bis Sie kamen. Sie haben alles zerstört. 

Z: Ich- Mein Gott Mademoiselle, Sie können mich beim besten Willen nicht für derlei verantwortlich machen! C'est la vie! Die goldene Regel der Filmindustrie! 

H: Ich war sieben als ich von der Schule nach Hause kam und die Krankenwagen vor unserem Haus sah. Wie sie meinen Vater abtransportierten. Er hatte sich ertränkt, wissen Sie? Im Hummerbassin. Als sie ihn aus dem Haus trugen, hingen sie noch an ihm. Zwei Dutzend Schalentiere. Zu hundert Franken das Stück. Viele Dorfbewohner wählten damals den Freitod. Meine Mutter ging ihm zwei Monate später hinterher, nachdem sie das Trüffelschwein mit einer seidenen Serviette erdrosselt hatte. Und da war ich plötzlich alleine. Die nächsten zehn Jahre habe ich bei Nonnen verbracht. Tagebuch geführt, weil ich nicht vergessen wollte. Ich habe die geheimen Lehren der Hauswirtschaft studiert und perfektioniert. Und ich hab Briefe geschrieben. Recherchiert. Ich bin Ihrem Fanclub beigetreten Fürstin. Habe um Autogrammkarten gebettelt, Lobeshymnen auf Sie verfasst und damit nur Ihre Eitelkeit bedient. Und als ich Ihre Adresse herausbekam, von Ihnen selbst, habe ich Ihnen meine Bewerbung zum Hausmädchen zugeschickt. Ich behauptete, Straßenkind zu sein, meine Eltern nie gekannt zu haben. Und ich appellierte an Ihr großes Herz, Ihren Sinn für Wohltätigkeit. Und Sie, so eitel, so selbstverliebt, so leicht zu umschmeicheln, Sie holten mich her, und behielten mich. Und hier bin ich. Seit siebzehn Jahren Ihre Angestellte. 

Z: Das alles ist schrecklich Mademoiselle. Und auch ein klein wenig schmeichelhaft, wie ich zugeben muss, und ich möchte, dass Sie wissen, dass mir all dies fürchterlich leid tut, aber ich- 

H: (fest.) Siebzehn Jahre! Seit siebzehn Jahren koche ich für Sie, ich wasche, ich putze, ich nehme Anrufe entgegen, plane und verwalte Ihre Termine, ertrage Ihre Beschimpfungen, dann die Sache mit dem Autounfall - Sie landeten im Rollstuhl. Und seither pflege ich Sie, ich wasche Sie, füttere Sie, drehe Sie, um dem Dekubitus vorzubeugen, wische Ihren Arsch, desinfiziere Ihren Stumpf - und Sie haben nie auch nur den leisesten Anflug einer Rache bemerkt, die mich bei all dem antreiben könnte. Im Gegenteil: Sie haben mir vertraut. Mich in alle Ihre Geheimnisse eingeweiht. Bereitwillig dahergeplaudert. Als wäre ich Luft gewesen. Gar nicht da. Und dennoch, Fürstin, war ich immer da. Und mit mir auch sie. Meine Rache. In mir. Wie ein Tumor. Wachsend, Metastasen bildend mit jeder neuerlichen Erniedrigung. Auge um Auge. Zahn um Zahn. Sie haben meine Familie zerstört. Fürstin. Und deshalb zerstöre ich Sie. 
 
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