Was ist denn heut bei Anhalts los?
 
I. Kapitel: Stigmata oder: Natürlich schreibt Pollesch die besseren Stücke (Auszug) 

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(Die Villa in Bel Air. Die Fürstin schlafend. Prinz Frédéric tritt an ihr Bett und streichelt zärtlich über den mumiengleichen Flaum ihres Kopfes.)

Frédéric: Liebste Zsa Zsa. Wer hätte gedachte, dass es so lange hält. Wer hätte sich erträumen mögen, dass aus der innigen Freundschaft, die uns beide verband, eine große Liebe - die größte Liebe werden könnte. The biggest love story ever told. Even bigger than love story. Und deine Tochter Francesca ist der Meinung, ich würde aus dir und deiner Sieche Kapital schlagen wollen! Sieh dich an! Mich! Uns! Sieh das Märchen, von dem Millionen nur träumen können! Für uns ist der Traum wahr geworden. Bel Air. Hollywood. Der Rolls-Royce. Die Filmrechte! Und die Sammlung erotischer Kunst! Francesca hat unsere Gefühle immer angezweifelt, uns immer vorgeworfen, wir - ich! - hätten nur aus dem Prestige heraus geheiratet. Kompletter Unsinn natürlich! Sie ist blind - Francesca. Jeder, der die tiefe bedingungslose Liebe nicht sehen kann, die uns eint, ist es. Blind. Oder ein Lügner. Oder beides. Und dumm. Ein dummes Arschloch. Blind. Verlogen. Francesca. ... Arschloch. 

Zsa Zsa: Frédéric, mein Frédéric. 

F: Du bist wach? 

Z: Ich habe seit drei Wochen nicht mehr geschlafen. Mademoiselle Haller zuliebe stelle ich mich schlafend. Und jetzt wird sie kündigen. Sie droht damit. Sie trinkt, weißt du? Hast du gewusst, dass sie im Keller eine Düngemittelbombe aus Haushaltschemikalien baut? Warum auch immer. 

F: Ich hatte kein Ahnung. 

Z: Ach. Das Morphium hat seine Wirkung längst verloren. Ich lebe, um zu leiden, und ich leide, weil ich lebe. Sieh nur, meine Stigmata, sie eitern wieder. Hättest du die Güte, mir das Handtuch-

F: Aber sicher. (er reicht ihr ein Handtuch.)

Z: Haller spielt schlecht. Sie belügt sich und das Publikum. Und sie hinterfragt jeden Spielvorgang, der der Handlung etwas mehr Würze verleihen könnte. Sie hat verhindert, dass ich bereitwillig meine Brüste zeige, wie findest du das? Dabei wäre es nicht aufdringlich gewesen, nein! Natürlich. Zärtlich. Liebevoll! Es hätte ein völlig selbstverständlicher Umgang mit meiner Nacktheit werden können, aber sie hat es zu verhindern gewusst. Sie hat meine Nacktheit zum Problem werden lassen. Sie versteckt sich hinter ihrem Rollenprofil und merkt nicht, dass ihre Forderung nach nachvollziehbaren psychologischen Motiven nur ihrer generellen Fantasielosigkeit und Prüderie entspringt. Es ist die fade Mimikry einer unterdurchschnittlich begabten Provinz-Aktrice, nichts weiter. 

F: Du bist zu hart Zsa Zsa. Sie pflegt dich. Wo wärest du ohne sie? Nicht jeder kann die Gàbor sein, das musst du tolerieren. 

Z: Ein Melodrama kann subversiver sein als jede Gesellschaftskritik. Und im Melodrama geht es nie um Glaubwürdigkeit. Ich könnte bereitwillig meine Brüste zeigen, ohne dass ich meine Figur dadurch verraten oder mein Publikum vergrämen würde. Ich könnte meine Brüste bereitwillig und melodramatisch präsentieren! 

F: Aber natürlich Liebes. Ich habe deine Brüste immer bewundert. Ich habe sie berührt und sie haben mich berührt. Ich kann mit Haller reden, wenn du magst. Ruh du dich nur aus. 

Z: Herr im Himmel, was soll nur geschehen! Ich bin eine Last für euch alle! 

F: Sag das nicht Zsa Zsa! Ich liebe dich! Erinnere dich! Du warst schön und du bist es noch! 

Z: Erinnerung ist das, was ich an Stelle einer Aussicht habe. Und einem rechten Bein. Hilf mir auf Frédédric. Ich will aus dem Fenster sehen. 25 Jahre lieben wir uns schon Frédéric. 25 Jahre. Und darüber hinaus. (sie treten ans Fenster.) Schon früher habe ich gerne an diesem Fenster gestanden. Ich beobachtete dich gerne, während du dort unten deinen Bahnen zogst. So stattlich. So athletisch. Mir selbst war der Pool verboten, erinnerst du dich? - so oft, wie ich damals meine Periode bekam. Ach. Ich vermisse die Zeiten. Und ich vermisse mein Bein. 

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